Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab 2020
Liebe Bürgerinnen und Bürger,
am Freitag haben sich die Ministerpräsidenten der Länder mit der Bundeskanzlerin unter Beteiligung von Bundesfinanzminister Dr. Schäuble und Bundesminister Altmaier auf eine Neuordnung der Bund-Länder- Finanzbeziehungen ab dem Jahr 2020 verständigt. Die Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD waren zuvor intensiv in die Verhandlungen eingebunden.
Die Neuordnung war unter anderem notwendig geworden, weil:
wichtige Regelungen zum Bund-Länder-Finanzausgleich am 31.12.2019 auslaufen,
Bayern und Hessen vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Länderfinanzausgleich geklagt und darüber hinaus die klare politische Erwartung formuliert haben, dass ihre Zahllast signifikant reduziert wird, und
Nordrhein-Westfalen den Wunsch geäußert hat, den aus seiner Sicht ungünstigen Umsatzsteuervorwegausgleich abzuschaffen.
Eine Lösung unter Wahrung der Belange der neuen sowie der finanzschwachen alten Bundesländer war letztlich nur möglich, weil die Bundesseite den Ländern finanziell sehr weit entgegengekommen ist. Im Gegenzug haben sich die Länder grundsätzlich bereit erklärt, strukturellen, kompetenzrechtlichen Verbesserungen in den Bund-Länder-Beziehungen zugunsten des Bundes zuzustimmen. Die im Vorfeld von vielen Seiten geforderte Erhöhung der Transparenz in den finanziellen Beziehungen zwischen dem Bund auf der einen Seite und den Ländern und Kommunen auf der anderen Seite wurde leider nicht erreicht.
Die zusätzliche finanzielle Beteiligung des Bundes summiert sich damit aus heutiger Sicht im Jahr 2020 auf mehr als 9,5 Mrd. Euro und steigt bis zum Jahr 2030 auf Basis einer Schätzung auf ca. 13 Mrd. Euro. Das Bundesfinanzministerium hat auf Basis der Steuerschätzung Mai 2016 für 2019 überschlägig errechnet, welche Auswirkungen dies für Hessen hat. Hessen würde mit diesem Ergebnis um 547 Millionen Euro im Jahr entlastet werden. Das bedeutet eine Entlastung Hessens von 89 Euro pro Kopf im Jahr.
Ich freue mich, dass es Bund und Ländern gelungen ist, einen für alle Seiten tragfähigen Kompromiss zu schließen und damit ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung nachzukommen. Deutsche Politik ist immer in der Lage, auch schwierige Probleme konstruktiv zu lösen. Die Lösung ist trotz der höheren Beiträge des Bundes für alle Seiten eine Win-Win-Situation. Nun müssen alle Seiten in deren Verantwortungsbereichen auch dafür Sorge tragen, dass diese Beschlüsse auch umgesetzt werden.
Im Einzelnen wurde Folgendes vereinbart:
A) Bund-Länder-Finanzbeziehungen
1. Bund und Länder vereinbaren, die Neuordnung ihrer Finanzbeziehungen mit folgenden Eckpunkten auf der Grundlage der beiliegenden Tabelle umzusetzen, die Bestandteil dieses Beschlusses ist (Grundlage ist die Steuerschätzung Mai 2016 für das Jahr 2019).
Der Länderfinanzausgleich wird in seiner jetzigen Form abgeschafft. Damit entfällt auch der Umsatzsteuervorwegausgleich. Der Länderanteil an der Umsatzsteuer wird grundsätzlich nach Maßgabe der Einwohnerzahl verteilt, jedoch modifiziert durch Zu- und Abschläge entsprechend der Finanzkraft. Im Ergebnis erfolgt ein Ausgleich der Finanzkraft zukünftig im Wesentlichen bereits im Rahmen der Verteilung des Länderanteils an der Umsatzsteuer.
Die Länder erhalten einen zusätzlichen Festbetrag von 2,6 Mrd. € sowie zusätzliche Umsatzsteuerpunkte im Gegenwert von 1,42 Mrd. €.
Der Angleichungsgrad und der Tarif der allgemeinen Bundesergänzungszuweisungen werden auf 99,75 % des Durchschnitts zu 80 % erhöht.
Der Tarif zur Berechnung der Zu- und Abschlagsbeträge bei der Umsatzsteuerverteilung wird linear gestaltet und auf 63 % festgesetzt.
Die kommunale Finanzkraft wird zur Berechnung der Finanzkraft eines Landes zu 75 % einbezogen.
Die Einwohnerwertungen für die Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen bleiben unverändert, ebenfalls die von Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt.
Es werden Zuweisungen des Bundes zum Ausgleich der Finanzkraftunterschiede auf Gemeindeebene in verfassungsrechtlich abgesicherter Form in Höhe von ca. 1,5 Mrd. € (Schätzung Mai 2016 für 2019) gewährt. Dabei wird die unterdurchschnittliche Gemeindefinanzkraft zu 53,5 % bezogen auf die Lücke bis 80 % des Durchschnitts der Gemeindesteuerkraft ausgeglichen.
Die SoBEZ für die neuen Länder enden 2019. Die Instrumente, die helfen, regionale Ungleichgewichte unter den Ländern auszutarieren (SoBEZ für Kosten der politischen Führung, SoBEZ für strukturelle Arbeitslosigkeit, Finanzierungshilfen zur Abgeltung der Hafenlasten) werden fortgeführt. Brandenburg erhält zusätzliche SoBEZ für Kosten der politischen Führung in Höhe von 11 Mio. €.
Die Forschungsförderung des Bundes nach Art. 91b GG erfolgt nicht nach den Kriterien einer gleichmäßigen Verteilung. Um für leistungsschwache Länder einen Ausgleich zu gewährleisten, wird eine Bundesergänzungszuweisung für Forschungsförderung eingeführt. Dabei werden 35 % der Differenz zu 95 % des Länderdurchschnitts der Nettozuflüsse aufgefüllt. Die Forschungs-BEZ werden zusätzlich zu den bisherigen Forschungsausgaben des Bundes geleistet und gehen nicht zu Lasten der Forschungsförderung für die Länder.
Die Förderabgabe wird im Wesentlichen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein erhoben. Sie ist mit erheblichen Belastungen der Länder verbunden. Deshalb wird sie zukünftig bei der Berechnung der Finanzkraft zu 33 % angesetzt.
Es werden zur besonderen Entlastung dem Saarland und der Freien Hansestadt Bremen Sanierungshilfen in Höhe von insgesamt 800 Mio. € gewährt.
Das Bundesprogramm GVFG wird dauerhaft fortgeführt.
Mit der Umsetzung aller beschriebenen Elemente im Rahmen einer Gesamteinigung werden die Länder in beträchtlichem Umfang finanziell entlastet. Dabei wird auch den Belangen der finanzschwachen Länder Rechnung getragen. Durch die Neuordnung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen steht kein Land finanziell schlechter da als ohne die Neuordnung.
2. Stärkung des Stabilitätsrates
Der Stabilitätsrat überwacht künftig auch die Einhaltung der Schuldenbremse durch Bund und Länder. Mit der Ausweitung der Zuständigkeiten des Stabilitätsrates wird der Stabilitätsrat mit den zu seiner Aufgabenwahrnehmung notwendigen Kompetenzen ausgestattet. Die Analyse erfolgt dabei anhand einer vergleichbaren Datenbasis, die sich an den europäischen Vorgaben und Verfahren orientiert.
Bund und Länder werden unverzüglich die oben genannten Elemente mit dem Ziel konkretisieren, das Gesetzgebungsverfahren zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zügig einzuleiten. Gleiches gilt für die weiteren von diesem Beschluss ausgelösten Verfassungsänderungen.
3. Die Regierungschefinnen und Regierungschefs betonen die Notwendigkeit, bei der erforderlichen Anpassung des Grundgesetzes den bislang in Artikel 107 GG verankerten angemessenen Ausgleich der unterschiedlichen Finanzkraft der Länder auch künftig sicherzustellen, und dabei unter anderem den zusätzlichen Ausgleich der unterschiedlichen gemeindlichen Finanzkraft im Grundgesetz zu regeln. Dies ist im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu konkretisieren.
B) Maßnahmen für die Verbesserung der Aufgabenerledigung im Bundesstaat
Bund und Länder stimmen überein, dass die folgenden Maßnahmen grundsätzlich geeignet sind, die Aufgabenerledigung im Bundesstaat zu optimieren. Es besteht Einigkeit, dass die näheren Ausgestaltungen intensiver und konstruktiver Diskussion bedürfen. Diese werden vom Chef BK mit der Chefin und den Chefs der Staats- und Senatskanzleien geführt.
Soweit nicht anders geregelt, erfolgt die Finanzierung entsprechend den Zuständigkeiten.
1. Infrastrukturgesellschaft Verkehr
Reform der Bundesauftragsverwaltung mit Fokus auf Bundesautobahnen und Übernahme in die Bundesverwaltung (übrige Bundesfernstraßen opt out). Es soll eine unter staatlicher Regelung stehende privatrechtlich organisierte Infrastrukturgesellschaft Verkehr eingesetzt und das unveräußerliche Eigentum des Bundes an Autobahnen und Straßen im Grundgesetz festgeschrieben werden. Dazu entsprechende Ermächtigungen in Art. 90 GG. Eckpunkte für die Ausgestaltung sind festzulegen (u.a. Zeitplan, Regelungen in der Übergangsphase, Übergang von Personal-, Pensions- und Sachmitteln). Dabei sollen die Interessen der Beschäftigten hinsichtlich Status, Arbeitsplatz und Arbeitsort beachtet werden. Die Personalvertretungen werden eingebunden.
2. Digitalisierung
Die Online-Anwendungen der öffentlichen Verwaltung werden für alle Bürger/innen und die Wirtschaft über ein vom Bund errichtetes zentrales Bürgerportal erreichbar gemacht, über das auch die Länder ihre online Dienstleistungen bereitzustellen haben.
Zur Erhöhung der onlinefähigen Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung wird beim IT-Planungsrat für die Weiterentwicklung der IT-Verfahren ein Budget bereitgestellt.
Der Bund wird in Kürze ein Open Data Gesetz für seinen Kompetenzbereich vorlegen. Die Länder werden in ihrer Zuständigkeit - soweit noch nicht
geschehen - ebenfalls Open Data Gesetze erlassen und dabei das Ziel verfolgen, in Anlehnung an die Bundesregelung bundesweit vergleichbare Standards für den Zugang zu öffentlichen Datenpools zu erreichen.
3. Bessere Förderung von Investitionen
Die Möglichkeiten zur zielgerichteten und effizienten Förderung von Investitionen in gesamtstaatlich bedeutsamen Bereichen sollen verbessert werden. Der Bund erhält dazu mehr Steuerungsrechte bei Finanzhilfen. Grundgesetzliche Erweiterung der Mitfinanzierungskompetenzen des Bundes im Bereich der kommunalen Bildungs-Infrastruktur für finanzschwache Kommunen. Dabei erfolgt eine Orientierung an dem bisher laufenden Bundesprogramm.
4. Kontrollrechte bei Mitfinanzierung von Länderaufgaben
Die Verankerung von Erhebungsrechten des Bundesrechnungshofes erfolgt im Benehmen mit dem jeweiligen Landesrechnungshof in der Landesverwaltung bei den grundgesetzlichen Mischfinanzierungstatbeständen (Gemeinschaftsaufgaben Art. 91 a und 91 b GG; Finanzhilfen nach Art. 104 b GG; Entflechtungsmittel; ebenso Regelung in vorstehender Ziffer 3).
5. Stärkung der Rechte des Bundes in der Steuerverwaltung
Beim IT-Einsatz in der Steuerverwaltung der Länder erhält der Bund ein erweitertes Weisungsrecht zur Gewährleistung gleicher Programmergebnisse und eines ausgewogenen Leistungsstandes. Der Bund erhält im Bereich der Steuerverwaltung ein stärkeres allgemeines fachliches Weisungsrecht, soweit nicht die Mehrheit der Länder widerspricht. Verbesserung der Bund-Länder-Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Steuerbetruges, insbesondere des Umsatzsteuerbetruges. Die Position des Bundes wird durch Änderung/Ergänzung des Verwaltungsabkommens KONSENS gestärkt. Der Bund wird künftig in Art. 108 GG ermächtigt, etwaige Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Besteuerung im Einvernehmen mit den betroffenen Ländern länderübergreifend zu übertragen. Bund und Länder werden ihre Zusammenarbeit bei der Überwachung der Geldwäschegesetze verbessern.
6. Unterhaltsvorschuss
Bund und Länder verständigen sich darauf, beim Unterhaltsvorschuss ab dem 1. Januar 2017 die Altersgrenze von 12 auf 18 Jahre anzuheben und die Bezugsdauergrenze aufzuheben sowie auf die dazu erforderliche Finanzierung. Zu den finanziellen Belastungen der Länder besteht noch Beratungsbedarf mit dem Bund.
7. Die Neuordnung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen gilt unbefristet, es sei denn, dass mindestens drei Länder oder der Bund nach 2030 eine Neuordnung einfordern. Bis zur einvernehmlichen Neuordnung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen, höchstens jedoch für 5 Jahre, gelten die alten Regeln fort.
8. Darüber hinaus muss aus Sicht der Länder auch über ihren Wunsch diskutiert werden, bestehende Kredite der Länder gemeinsam mit dem Bund zu prolongieren.