Markus Koob MdB

Meine Rede zum 15. Kinder- und Jugendbericht

Am heutigen Freitag habe ich meine 16. und damit voraussichtlich letzte Rede dieser Wahlperiode gehalten. Thema war der 15. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland, der sogenannte 15. Kinder- und Jugendbericht. Je nach Wunsch können Sie sich meine zehnminütige Rede entweder hier ansehen oder unten durchlesen. Ich wünsche Ihnen in jedem Fall viel Vergnügen.

Herzliche Grüße

Ihr Markus Koob 

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Bundesministerin, ich möchte zunächst die Gelegenheit nutzen, Ihnen persönlich zu Ihrem neuen Amt zu gratulieren und Ihnen im Sinne unserer Familien, Jugend, Senioren und Frauen eine erfolgreiche verbleibende Amtszeit zu wünschen.

Wenn ich in der Vergangenheit die öffentliche Diskussion zum Thema Jugend beobachtet habe, stellte ich fest, dass es oft, nach meinem Geschmack zu oft um Themen wie Komasaufen, Gewalt, Zigarettenkonsum, Null-Bock-Stimmung oder Schulschwänzer ging. Diese gesellschaftliche Sicht auf Jugendliche hat sich durch zahlreiche erschienene Studien in den letzten Jahren glücklicherweise um 180 Grad ins Positive gedreht. So zeichnete vor allem die Shell-Jugendstudie ein überaus positives Bild der Jugend von heute: Sie ist pragmatisch, schätzt Werte wie Familie, Freundschaft und Partnerschaft, ist politikinteressiert. Erstmals seit den 1990er-Jahren bewertet eine Mehrheit der Jugendlichen die Zukunft der Gesellschaft positiv. Die eigene Zukunft wird sogar noch positiver eingeschätzt. Für Jugendliche zählt im Beruf die persönliche Erfüllung mehr als die Karriereorientierung. Die Jugendlichen haben mehr Angst vor Fremdenhass als vor Zuwanderung. Jugendliche nutzen das Internet mit allen Möglichkeiten, sind aber kritisch bezüglich der Datenverarbeitung durch große Unternehmen. Die große Mehrheit legt Wert auf Werte wie Respekt vor Gesetz und Ordnung. In vielerlei Hinsicht sollte die Jugend von heute für uns alle ein Vorbild sein. Pragmatismus, Optimismus und Toleranz sind Werte, die unsere Gesellschaft im Ganzen stärken und für die Zukunft sichern.

Vor allem das ehrenamtliche Engagement der Jugend ist bemerkenswert. Neben vielfältigen Hobbys, familiären Verpflichtungen und dem Schulunterricht schafft es eine Vielzahl von Jugendlichen, sich neben diesen Hauptverpflichtungen ehrenamtlich zu engagieren. Sie tragen durch ihr Engagement für Sport, Kirche, Schule, Kultur, freiwillige Feuerwehr, Jugendrotkreuz, Jugend-THW, DLRG, um nur einige wenige zu nennen, maßgeblich zum Funktionieren unserer Gesellschaft bei. Zwar engagieren sich im Vergleich zum Jahr 1999 weniger Jugendliche; nichtsdestotrotz leisten sie eine hervorragende Engagementarbeit. Als Politiker habe ich den höchsten Respekt vor ihrer Leistung. Ingrid Pahlmann wird das, glaube ich, in ihrer Rede gleich noch einmal genauer ins Licht rücken.

Auch der 15. Kinder- und Jugendbericht zeichnet wie zuvor bereits die Shell-Jugendstudie ein überaus positives Bild der Jugend von heute. Dabei wird erstmals überhaupt der Fokus ausschließlich auf die Lebenswirklichkeit der Jugend gelegt und die Kindheit ausgespart. Kindheit ist wichtig, aber in der Forschung schon gut repräsentiert. Auch ich begrüße deshalb die Schwerpunktsetzung auf das Thema Jugend sehr; das wurde Zeit.

Dabei ist der Begriff der Jugend eher als unkonkreter Sammelbegriff zu verstehen. Ich würde nicht so weit gehen, zu sagen, dass zur Jugend alle gehören, die sich jung fühlen; aber zumindest die Menschen zwischen 12 und 27 Jahren können sich diesen Begriff getrost ans Revers heften, nach einem Vorschlag der Sachverständigenkommission sogar die Menschen bis zu einem Alter von Mitte 30, was ich als 39-Jähriger zwar sehr schmeichelhaft finde, aber doch etwas übertrieben.

Zudem ist die Jugend genauso pluralistisch wie die Gesellschaft insgesamt. Die eine Jugend gibt es nicht, nur viele individuelle Jugendliche. Nicht nur, weil ihr Anteil an der Gesellschaft aktuell so groß ist wie der Anteil der über 65-Jährigen an der Gesellschaft müssen wir in diesem Haus gemeinsam die vielfältigen Interessen der Jugend bestmöglich vertreten; denn Repräsentation ist nicht allein eine Frage des Wählendürfens, sondern vor allem eine Frage des Vertretenwerdens. Ich weiß, dass für eine angemessene Repräsentation der Jugend weiß Gott nicht alle Entscheidungen dieser Legislaturperiode hilfreich gewesen sind. Dennoch werde ich mich auch in Zukunft weiter dafür einsetzen, dass politische Konzepte wie bei der Rente nicht nur bis ins Jahr 2030 reichen. Ein Rentenkonzept, welcher Partei auch immer, muss die Interessen der Jugend sehr intensiv berücksichtigen.

Abgesehen von der Rentenpolitik haben wir in dieser Legislaturperiode mit unseren beschränkten Kompetenzen auf Bundesebene viel für die Jugend in unserem Land erreicht. Wir haben auf Bundesebene auf vielfache Weise dazu beigetragen, Jugend zu ermöglichen, indem wir sowohl die Eltern als auch die Länder und Kommunen finanziell stark entlastet haben, so stark wie keine Bundesregierung je zuvor.

Die Familien, in denen Jugend lebt und in denen sich Jugend entfaltet, haben wir durch die Erhöhung des Entlastungsbetrages, den Ausbau des Unterhaltsvorschusses, die Erhöhung von Kindergeld, Kinderfreibetrag, Grundfreibetrag und Kinderzuschlag sowie Elterngeld Plus entlastet. Auch der Ausbau von Mehrgenerationenhäusern und die Ausweitung des Jugendschutzgesetzes auf E-Zigaretten und E-Shishas kamen der Jugend in dieser Wahlperiode zugute. Wenn ich mir in meiner voraussichtlich letzten Rede in dieser Legislaturperiode etwas von Ihnen, Frau Ministerin, wünschen darf, dann, dass Sie im Gegensatz zu Frau Schwesig endlich auf die Gefahren für Kinder und Jugendliche durch den Konsum von konventionellen Wasserpfeifen reagieren und einen Entwurf zur Reform des Jugendschutzgesetzes vorlegen. Schon zu Beginn des Jahres 2016 hielten dies in der Anhörung alle Experten zum Wohle der Kinder und Jugendlichen in unserem Land für notwendig. Nehmen Sie dieses Wissen ernst, und schützen Sie unsere Kinder und Jugendlichen.

Der diesjährige Kinder- und Jugendbericht kommt zu keinen revolutionären, aber dennoch zu wichtigen Erkenntnissen. Die Jugend von heute steht hinter der Demokratie als bestmöglicher Staatsform. Sie ist politisch interessiert und keineswegs politikverdrossen. Sie wendet sich bei Problemen überwiegend an Familie und Freunde, strebt in größerer Zahl nach höheren Bildungsabschlüssen als noch vor ein paar Jahren und ist konstant zu drei Vierteln religiös, wenngleich individueller und kirchenunabhängiger.

Jugend ist zudem durch eine höhere internationale Mobilität gekennzeichnet, durch eine geringere Arbeitslosigkeit als im Rest Europas, sie bewegt sich in der digitalen Welt im Wissen um Datensparsamkeit mit Leichtigkeit - wenngleich der digitale Zugang von Regionen, Bildungsabschluss und sozialem Status abhängt -, sie kommuniziert vielfältig online, nach wie vor aber auch offline, und liebt die Freizeitgestaltung innerhalb ihrer jeweiligen Peergroup.

In Zeiten großer gesellschaftlicher Änderungen, globaler Herausforderungen und damit verbundenen Unsicherheiten wächst die Jugend von heute in einem unübersichtlichen Umfeld auf. In einem solchen Umfeld Jugend zu ermöglichen, ist die Aufgabe von uns allen. Von der Politik sind die geeigneten Rahmenbedingungen vorzugeben und anzupassen, von der Gesellschaft die benötigten Freiräume für die Entfaltung von Jugendlichen bereitzustellen, und schließlich sind vom direkten sozialen Umfeld, von Vätern und Müttern, Lehrern, Freunden und Familienangehörigen, Geborgenheit, finanzielle Sicherheit und persönliche und soziale Unterstützung zu geben.

Aber - das halte ich in der Diskussion über Jugend für wichtig - das Ermöglichen von Jugend ist für die Jugendlichen nicht passiv im Sinne von Gewähren von Jugend zu verstehen. Auch sie selbst müssen sich ihre Jugend aktiv ermöglichen. Sie müssen sich selbst engagieren, sich selbst qualifizieren, sich selbst im Internet schützen, sich selbst ihre eigenen Freiräume schaffen, sich selbst und sich gegenseitig helfen. Wir alle haben bei der Entscheidung über den Brexit gesehen, dass Jugendliche zwar ganz überwiegend proeuropäisch eingestellt sind, bei der Abstimmung aber deutlich unterrepräsentiert waren. Das müssen wir alle gemeinsam ändern. Denn in allen europäischen Ländern sind die Jugendlichen außerordentlich proeuropäisch eingestellt.

Grundvoraussetzung für das bestmögliche Aufwachsen der größtmöglichen Zahl von Kindern und Jugendlichen, um ihnen eine bestmögliche Zukunft zu geben - da danke ich der Sachverständigenkommission für ihre Klarheit -, ist die angemessene finanzielle Ausstattung der Kinder- und Jugendarbeit sowie der sozialen Dienste. Wie beim für die Herstellung von Chancengerechtigkeit überaus wichtigen Aspekt des Bildungssystems sind hier aber originär vor allem die Länder und Kommunen mit ihren Kompetenzen gefragt. Ich bin mir sicher, dass sie den 15. Kinder- und Jugendbericht detailliert analysieren und auf dessen Ergebnisse reagieren werden. Unser Bildungssystem muss - egal ob in Hamburg oder Berlin, Bayern oder Niedersachsen - alle Kinder und Jugendlichen mit ihren jeweiligen Schwächen und Stärken so mitnehmen, dass keine Chancen ungenutzt bleiben, egal welches Geschlecht, welche ethnische Zugehörigkeit, welche regionale oder familiäre Herkunft, welchen sozialen Status oder welche körperliche Verfasstheit das jeweilige Kind aufweist.

Wenngleich die Chancen mittlerweile gleicher verteilt sind, ist eine chancengleiche Jugend noch nicht erreicht; dieses Ziel muss deshalb weiter von uns verfolgt werden. Daher werden meine Fraktion und ich uns die 22 Thesen der Sachverständigenkommission aus dem 15. Kinder- und Jugendbericht in der kommenden Legislaturperiode genau ansehen und, wo nötig, Antworten formulieren, damit die Jugend für den größten Teil der Jugendlichen ein möglichst unbeschwerter Lebensabschnitt bleibt und für die wenigen anderen Jugendlichen ein unbeschwerter Lebensabschnitt wird.

Ich erlaube mir an dieser Stelle auch eine persönliche Anmerkung. Ich finde es gut, dass wir einen so umfassenden Bericht vorgelegt bekommen haben; er umfasst fast 600 Seiten. Ich stelle allerdings auch nach vier Jahren Parlamentszugehörigkeit und Gesprächen mit rund 2 000 Schülerinnen und Schülern immer wieder fest, dass wir sehr genau wissen, wie die Jugend tickt, wie sie denkt, wie sie lebt, dass aber umgekehrt die Frage, wie Jugendliche den Zugang zu Politik finden, immer noch mit sehr, sehr vielen Fragezeichen behaftet ist. Vielleicht sollten wir uns deshalb gemeinsam intensiver der Frage zuwenden: Wie können wir das verbessern? Ich kann zu meinem Glück sagen, dass ich in meinem Wahlkreis über eine politische Nachwuchsorganisation verfüge, auf die ich sehr stolz bin. Es muss aber Standard werden, dass wir den Jugendlichen als Ansprechpartner zur Verfügung stehen und dass sie wissen, wie Politik funktioniert und wohin sie sich wenden müssen.

Ich glaube, das ist eine gemeinsame Aufgabe für uns alle; denn die Jugend von heute ist die Demokratie von morgen. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten.

Vielen Dank.