Markus Koob MdB

Persönliche Erklärung zu meinem Abstimmungsverhalten zu Griechenland

Bei der heutigen Abstimmung im Deutschen Bundestag ging es um die Frage, ob das Parlament die Bundesregierung damit beauftragt, Verhandlungen aufzunehmen über den Antrag Griechenlands, ein weiteres Hilfsprogramm auf der Grundlage des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zu erhalten. Es ging bei der Abstimmung ausdrücklich nicht um eine inhaltliche Entscheidung über ein neues Paket und dessen Finanzierung. Eine solche weitere Abstimmung des Deutschen Bundestages wird nach Abschluss der Verhandlungen getroffen – sollte es denn ein Ergebnis dieser Verhandlungen geben. 

Ich habe der Aufnahme von Verhandlungen trotz erheblicher Verärgerung über das Verhalten der griechischen Regierung und trotz grundsätzlicher Bedenken hinsichtlich eines weiteren Hilfsprogramms zugestimmt und erläutere im Folgenden meine Entscheidung.

Mich haben in den letzten Tagen sehr viele Nachrichten von besorgten und wütenden Bürgerinnen und Bürgern erreicht, die mich aufgefordert haben, gegen ein weiteres Rettungspaket zu stimmen und weiteren Schaden vom deutschen Steuerzahler abzuwenden. Ich habe großes Verständnis für diese Bitten, denn die griechische Regierung hat insbesondere in den letzten Monaten getrickst und getäuscht, Zusagen nicht eingehalten und die Geldgeber, allen voran Deutschland, in einer Art und Weise attackiert, die mit Blick auf die beispiellose Solidarität der letzten Jahre nicht akzeptabel ist. Vor allem aber hat die griechische Regierung durch ihr Verhalten Vertrauen zerstört, das Grundlage für weitere Hilfen ist. Das zweite Hilfsprogramm wurde von der griechischen Regierung nicht erfolgreich beendet, ein Referendum der griechischen Bevölkerung hat eine klare Ablehnung der Sparvorgaben der europäischen Geldgeber erbracht und die langfristige Schuldentragfähigkeit des Landes ist erneut fraglich.

Gerade dieser letzte Aspekt ist von wesentlicher Bedeutung. Nicht nur viele Ökonomen, auch der Internationale Währungsfonds (IWF) bezweifeln die Schuldentragfähigkeit und fordern einen Schuldenschnitt für Griechenland. Einen Schuldenschnitt innerhalb der Eurozone aber darf es nicht geben. Ob es gelingen kann, hierfür eine Lösung bei einem Verbleib Griechenlands in der Eurozone zu finden, ist fraglich. Aus rein wirtschaftlicher Sicht wäre ein zeitweises Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone in dieser Frage der einfachere Weg, der mit einem Schuldenschnitt verbunden wäre. Auch wenn ein solcher Weg mit vielen Fragezeichen versehen und für Griechenland kurzfristig die Gefahr eines deutlichen Wohlstandsverlusts gegeben wäre, würde dieser Schritt eine deutliche Verbesserung der langfristigen Schuldentragfähigkeit bedeuten. Nach einer erfolgten Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und der Möglichkeit, sich wieder selbst am Kapitalmarkt zu finanzieren, könnte über eine Rückkehr in die Eurozone unter strengen Regeln nachgedacht werden.

Ich begrüße ausdrücklich, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble einen entsprechenden Vorschlag für eine solche Auszeit nicht nur während der Verhandlungen in Brüssel am vergangenen Wochenende unterbreitet hat, sondern diesen Vorschlag auch jetzt – nach Erteilung eines Verhandlungsmandats für die Bundesregierung  - aufrecht erhält. Zur Wahrheit gehört auch, dass ein solcher Schritt für Deutschland mit erheblichen Kosten verbunden wäre, da ein Schuldenschnitt zu einem Verlust der deutschen Forderungen gegenüber Griechenland führen würde.

Die Verhandlungen der Finanzminister und der Regierungschefs am letzten Wochenende haben aber auch deutlich gemacht, dass es für diesen Vorschlag derzeit nicht die notwendige Einstimmigkeit auf europäischer Ebene gibt. Diese aber ist zwingende Voraussetzung dafür, einen solchen Plan umsetzen zu können. Von den 19 Mitgliedsstaaten der Eurozone haben 15 einen solchen Vorschlag unterstützt, die vier übrigen Länder nicht, darunter Italien und Frankreich. Auch wenn diese Variante keine Mehrheit gefunden hat, so ist es dennoch wichtig, dass sie nun erstmals auch auf europäischer Ebene in die Diskussion eingebracht worden ist, um eine Option für den Fall zu eröffnen, dass sich ein Land dauerhaft nicht an Absprachen und Regeln halten will. Europa wird nur dauerhaft die Wertegemeinschaft, der stabile Währungsraum und der Garant von Frieden und Freiheit bleiben können, wenn sich alle Mitglieder an die selbst gegebenen Regeln halten. Für die Einhaltung dieser Regeln ist es unerlässlich, dass die Solidarität der Euroländer zwingend an Reformen in den betroffenen Ländern gebunden ist. Portugal, Spanien, Irland und Zypern haben sich auf diese Reformen eingelassen und sind auf einem nach wie vor steinigen Weg der Besserung. Griechenland war bis vor einem halben Jahr ebenfalls auf einem guten Weg: das Land hatte ein hohes Wirtschaftswachstum, der Haushalt wies einen Primärüberschuss aus und die Arbeitslosigkeit war auf immer noch hohem Niveau rückläufig. Seit Amtsantritt der neuen griechischen Regierung wurde dieser Weg verlassen. Den Ankündigungen folgten keine Taten mehr, Versprechen wurden nicht gehalten und sogar eine Volksabstimmung gegen den Vorschlag der Euroländer durchgeführt. Bis zum letzten Wochenende war daher erkennbar keine Grundlage mehr für weitere Verhandlungen gegeben.

Auf dem Gipfel der Finanzminister und Regierungschefs in Brüssel wurde daher in noch nicht dagewesener Härte verhandelt. Während das Angebot eines freiwilligen, zeitlich begrenzten Austritts Griechenlands aus dem Euro wie beschrieben keine Einstimmigkeit gefunden hat, fand ein Reformpaket eine einstimmige Mehrheit, das in der Härte der Forderungen weit über das hinaus geht, was bei anderen Hilfsprogrammen bisher vereinbart worden ist. So muss Griechenland künftig finanzrelevante Gesetze im Vorfeld eines Beschlusses durch die drei Institutionen (EU-Kommission, IWF und Europäische Zentralbank) prüfen lassen. Es enthält darüber hinaus ausgesprochen konkrete Vorgaben, welche Maßnahmen bereits vor der Beschlussfassung des deutschen Bundestages durch das griechische Parlament beschlossen werden mussten. So musste die Straffung des Mehrwertsteuersystems und die Verbreiterung der Steuerbasis zur Einnahmeerhöhung ebenso beschlossen werden wie erste Schritte einer Rentenreform, die Sicherstellung der Unabhängigkeit des griechischen Statistikamts und die Umsetzung der relevanten Bestimmungen des Fiskalpakts. Diese Beschlüsse wurden von  griechischen Parlament fristgerecht getroffen. Bis zum 22. Juli 2015 muss das griechische Parlament darüber hinaus eine Zivilprozessordnung sowie die Umsetzung der Bankenrestrukturierungs- und Abwicklungsrichtlinie umsetzen.

Ich habe immer gesagt, dass ich ohne ein erkennbar ernsthaftes Reformpaket noch nicht einmal der Aufnahme von Verhandlungen zustimmen werde. Das vorgelegte Reformpaket ist grundsätzlich eine akzeptable Grundlage für die Aufnahme von Verhandlungen. Das Misstrauen in die griechische Regierung ist aber trotz der erfolgten Parlamentsbeschlüsse nach wie vor erheblich.

Ich habe daher nicht nur sehr intensiv erwogen, einer Aufnahme von Verhandlungen nicht zuzustimmen – ich habe wie bei keiner Abstimmung zuvor mit mir gerungen. Was aber passiert wenn nicht nur ich mit nein stimme, sondern auch die Mehrheit des deutschen Bundestages? Was geschieht, wenn Deutschland als einziges Land schon alleine die Aufnahme von Verhandlungen verweigert, die als einzige Option zum jetzigen Zeitpunkt auf europäischer Ebene mehrheitsfähig waren? Wird ein alleiniges, isoliertes nein bereits zu Verhandlungen dazu führen, dass die übrigen europäischen Länder mit Begeisterung unseren Vorstellungen folgen? Erhöht ein alleiniges nein des Deutschen Bundestages die Chance, unsere Vorstellungen von einem künftigen Europa gegen unverzichtbare Partner wie Frankreich durchzusetzen? Ich glaube nicht.

Bundeskanzlerin Merkel und Bundesfinanzminister Schäuble ist am vergangenen Wochenende auf dem Brüsseler Gipfel ein Vorschlag gelungen, den ich als Konsens auf europäischer Ebene aufgrund der sehr unterschiedlichen Vorstellungen der einzelnen Länder in dieser Form kaum für möglich gehalten hätte. Es ist in ausgesprochen schwierigen Verhandlungen in einem ersten Schritt gelungen, eine Spaltung der Eurozone zu verhindern. Die französische Tageszeitung „Le Monde“ schreibt in ihrer heutigen Ausgabe: „Während der Krise um Griechenland hat die deutsche Bundeskanzlerin die europäischen Institutionen verteidigt. Wir sollten ihr dafür dankbar sein. Es ist natürlich viel bequemer, Angela Merkel Unbeugsamkeit vorzuwerfen, als sich über die wirklichen Ursachen der Finanzkrise des griechischen Staates und der Verantwortlichen dieser Krise Gedanken zu machen. Genauso absurd ist es, Merkel vorzuwerfen, sie verordne Europa Sparsamkeit. Sie sagt nur, dass eine gute Verwaltung der Staatsfinanzen die Grundlage des Wirtschaftswachstums ist. Es ist bedauerlich, dass Angela Merkel angegriffen wird, obwohl sie nicht Deutschland, sondern alle Europäer verteidigt. Dafür sollten wir der deutschen Bundeskanzlerin Ehre erweisen.“ Was wohl morgen in der gleichen Zeitung stünde, wenn wir Abgeordnete heute selbst Verhandlungen mit Griechenland verweigert hätten? Es ist nicht selbstverständlich, dass eine französische Tageszeitung eine solche Sicht der Dinge einnimmt. Es ist der griechischen Regierung offenkundig nicht gelungen, die Eurozone zu spalten. Wir brauchen eine Rückbesinnung darauf, dass wir alle bei dem Eintritt in die Eurozone Regeln zugestimmt haben. Wir brauchen die Einsicht, dass Europa nicht mehr funktionieren wird, wenn sich die Menschen nicht mehr auf die Einhaltung dieser Regeln verlassen können. Wir brauchen ein starkes, ein einiges Europa, das der alleinige Garant dafür ist, dass wir nicht nur auf 70 Jahre Frieden auf unserem Kontinent zurück blicken, sondern diesen mit der gleichen Sicherheit auch für die nächsten Jahrzehnte erhalten können. Aber wir brauchen auch neue Regeln, wie wir mit Ländern umgehen, die sich dauerhaft nicht an Vereinbarungen halten können oder wollen.

Vor diesem Hintergrund halte ich harte und ergebnisoffene Verhandlungen in den nächsten Wochen für den zielführenderen Weg, als eine bloße Ablehnung von Verhandlungen. Diese würde dazu führen, dass Deutschland isoliert würde.

Ob das als Grundlage für Verhandlungen vereinbarte Reformpaket von der griechischen Regierung nicht nur beschlossen, sondern auch umgesetzt wird, ob sie entgegen der ersten Ankündigungen nicht als übergestülptes Programm ansehen, sondern sich damit identifizieren und ob die griechische Regierung in der Lage ist, Vertrauen wieder aufzubauen, ist völlig offen. Kommt es nicht dazu, darf es kein weiteres Hilfsprogramm geben. Eine in irgendeiner Form geartete vorweg genommene Zustimmung  zu einem weiteren Hilfsprogramm ist mit meiner heutigen Abstimmung ausdrücklich nicht verbunden, einen Automatismus gibt es definitiv nicht.

Ich bin aber nicht bereit, eine Spaltung Europas bereits wegen der bloßen Frage, ob mit Griechenland verhandelt werden darf, in Kauf zu nehmen. Deshalb bin ich meinem Gewissen gefolgt und habe mit ja gestimmt.